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Fragen an einen Toten

Fragen an einen Toten

Papa, wer bist Du? Wer warst Du?
Wer in mir, etwas in mir, wo in mir?
Wie viel in mir, wie tief in mir,
wie oft in mir? Zwei Leben, die sich
begegnen, berühren, die sich anfassen,
um wieder voneinander zu lassen –
bis auf die Finger des einen
vom anderen... pausenlos leben,
schrecklich, kläglich, täglich, kaum
erklecklich, doch unsäglich unerträglich,
qualvoll quälig, quäl ich Dich oder
mich?
Bauchschmerzen ohne Schokoladenherzen,
Rauchkerzen ohne Rauchabzug,
nicht nur die Nacht verdunkelt
sich, Gemütswolken, zu leicht, um
abzuregnen, Tränenstauseen ohne
Schleusen, Papa, wer warst Du?
Hast Du Deinen Schleusenwärtern
schon befohlen, meine mitzuverjagen?
Warum hast Du das gemacht?
Diese ständige Präsenz ohne
Deine Erreichbarkeit, wie sollte ich
das jemals verstehen?
Jetzt bist Du wieder nicht erreichbar,
anders, aber dennoch unerreichbar,
endgültig, schade, schade, dass ich
immer etwas vermissen musste.
Dein Gehen weckt diese Traurigkeit
erneut und dann – dann
gibt es Momente, da hasse ich Dich,
da hasse ich Dich für alles, was Du
mir angetan hast, Du verdammtes
Schwein, für alles, was Du mir
nicht gegeben hast, ich hasse Dich
einfach nur, einfach nur Hass,
grenzenlos, tödlich ––– einfach
nur Hass, einfach Hass –––
Hass, bis wieder Luft da ist,
Luft, für anderes, Nachdenklichkeit,
Traurigkeit, Enttäuschung, Resignation,
bis zur Aufgabe der Aufgabe,
warum hast Du mich dahin
gebracht, Papa? Wie lang wird es
noch dauern, bis Klein und Groß
wieder zusammenwachsen werden,
bis das Loch in mir gestopft ist,
das Loch, das Du gerissen
hast, an dem die Resignation
weitergenagt hat? Den Zahn
habe ich ihr gezogen, der Zeit,
das Nagen hat ein Ende
und tausend Fragen nehmen ihren Anfang
Wo warst Du, Papa? Wo Du bist,
weiß ich, aber wo warst Du?
Als ich Dich brauchte, was
anderes brauchte, was anderes,
als das, was Du mir gegeben
hast? Ich glaube, ich war
damals schon der verlorene
Sohn, ––– und Du, Du
warst wohl der verlorene
Vater, ja, vermutlich...
leicht war es nicht, nein,
leicht nicht, dafür spüre
ich heute Erleichterung,
Erleichterung, Befreitheit... und
Traurigkeit, keine Trauer, aber
Traurigkeit, eine Traurigkeit
der verpassten Chancen, des
Wissens, der Enttäuschung,
der Ausweglosigkeit, aber
auch des Leids, des Schmerzes
und der Wut – der Wut, der Wut,
                        der Wut, der Wut,
die ein Leben lang gewütet hat,
in mir, die ich langsam
verstehe, diese endlose Traurigkeit,
vielleicht hat sie bald ein
Ende, vielleicht schließt sie
dieses Loch in mir, dieses Loch
zwischen dem großen und dem
kleinen Ich, sicher noch nicht
das Loch zwischen uns,
Papa, wo warst Du?
          wo warst Du bloß?

ls.

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