In einer Nacht im Mai

Es war eine Nacht im Mai, in der ja so viel passieren kann. Doch ich wollte nichts mehr wissen von dem, was bisweilen als Weiblichkeit bezeichnet wird. Stattdessen war ich ausgefüllt durch ein wenig Intellektualität, etwas Kreativität zur Anregung meiner Sinne, einem Berg von Verantwortung, der sich in einem gereiften Leben so angehäuft hatte. Bis sich unsere Blicke im Gewimmel der nach Nachtleben hungriger Augen in einer dieser so bedeutungsvollen Mainächte trafen.

Deine waren umrahmt von einer provozierenden Mimik. Deine Worte mögen wohl dazu gepasst haben, aber verstehen konnte ich sie in der Geräuschkulisse eines aktiven Nachtlebens nicht. Du hattest offensichtlich mein Desinteresse an der Lächerlichkeit jeglicher Anmache erkannt. Denn du beugtest dich zu mir. Auf Grund der Geste der Verbeugung bin ich stehen geblieben, obwohl mich Ziel orientierte Anstrengung von Männern langweilte. Mit dir getanzt hatte ich nur, weil mein Bekannter grußlos das Lokal verließ, und ich nicht einsam zwischen all den Vergnügungssüchtigen an meinem Gin Tonic lutschen wollte. Das Verhängnis schlich sich ein, du konntest tanzen. Du hattest deinen Leib zum Sprechen gebracht, deine Schritte hatten mir neue Wege gewiesen. Ich war überrascht und mein Körper ebenfalls.

Direkt neu war es nicht, dass ein Mann tanzen konnte. Ich hatte es nur schon lange nicht mehr erlebt. Tanz als Vorspiel, als Variante der Leidenschaft, die Leiden schafft, gab mir die nötige Vorsicht.

Gemeinsame Bewegungen, Gefühle zwischen Mann und Frau, die Enttäuschung, dass der begehrte Akt nicht eintreten würde oder ihm eine Beziehung folgen könnte, waren gefährlich.

 

Meine Distanzfähigkeit demonstrierend lächelte ich souverän mit einem leicht verführerischen Zug, der zeigte, dass ich weiß, was Verführung ist. Du beugtest dich erneut, hattest deine Lippen bewegt. Ich interessierte mich nicht für die unhörbaren Worte, setzte mich nicht der Anstrengung einer Nachfrage aus. Ich hatte deinen Geruch in der Nase, der eine Bereitschaft zum Animalischen verströmte. Keine Parfümerie der Welt kann einen besseren entwickeln. Du nahmst meine Hände, zogst mich an dich heran. Wir tanzten, Emotionen sprudelten.

„Du tanzt gut,“ konnte ich trotz des typischen Lärms, der den Eroberungen einer Nacht diente, aufnehmen. Ich spürte eine vertraute Wärme an den Innenseiten meiner Schenkel, ein Drängen in meiner Brust, sich bis zur Haut des Mannes auszudehnen. Ein wenig wollte mein Verstand diese Erregung meinem guten, alten Körper lassen, der das schon bis zur Beziehung, zur Ehe, zur Scheidung mitgemacht hatte. Es waren die letzten Zuckungen meiner Unabgeklärtheit, die eines Huhns nachdem ihm bereits der Kopf abgetrennt war.

Ich hatte mich häuslich nieder gelassen in den Bezirken ohne Weiblichkeit. Spraydosen der Leidenschaft wurden nicht mehr gezückt.

Grafities einer Passion gab es nicht, weil sie nur in Streits um Hauswände geendet hätten. Ich hatte alles unter Kontrolle, die Glut, deine Hände, meine Erregung. Dein Becken näherte sich dem meinem, ein ganz normaler Vorgang beim Tanz, aber ein Affront gegen meine Ratio.

Sie war verschreckt, zog sich bereits zurück, räumte den Platz für das Feuer in meinem Inneren. Aber ich hatte noch meine Erfahrungen, eine ganze Palette von Gefühlen. Sie waren stark, stellen sich gegen dein Becken. Dabei hatte ich deinen Arm nicht unter Kontrolle. Er stieß mich weg, zog mich abrupt wieder heran. Diese Wellenbewegung hinterließ ein wunderbares Gefühl! Es war wie Riesenrad-Fahren, der erste Schritt meiner Widerstandsaufgabe. Dein Becken presste sich an das meine, erneut eine Welle durch meinen Leib. Ich wurde zur Schlange. Meine Ratio schien sich genauso grußlos zu verabschieden, wie mein Bekannter. Fast hätte es für sie noch eine Chance gegeben.

Denn sie empörte sich über die unqualifizierte Art, wie du dein Knie zwischen meine Schenkel platziertest. Eben nur fast! Zwar lächelte ich müde über deine Versuche, in mein Zentrum der Selbstaufgabe vorzudringen, - diese typische Annäherung aus reiner Erfolgssuche gaukelte mir vor, dass das bis jetzt Geschehene keine Spuren hinterlassen würde, - doch meine Bemerkung entzog sich den Mahnungen meines Verstandes: „Machs für dich und nicht für mich.“ Ich murmelte etwas über Intelligenz und Erotik. Diese Worte hätten normalerweise keine Bedeutung gehabt, wären von vielen sicher gar nicht verstanden worden. Aber sie waren eingebettet in die allgemeine Eroberungssuche dieser Nacht und in unsere Bewegung. Meine Haltung, die diese Minimalverständigung ermöglichte, bedeutete Geruchsnähe, die für meine Vernunft ein Funktionsproblem darstellte.

 

„Du musst mindestens zehn Jahr jünger als ich sein.“ „Macht doch nichts.“ Stimmt - für die Leidenschaft eines Tanzes! Aber für meinen Feuerspucker bedeutete Tanz eben nur Vorspiel. Er wollte Hauptteil und nackte Haut. In diesem Moment folgte ein Wurf. Der Feuerspucker beschäftigte mich nicht weiter. Ich musste mich an deine Arme klammern, um nicht zu fallen. Da hing ich nun, eine Hand breit über dem Kneipenboden, fest in deinem Griff, mein Becken kraftvoll aufgestellt, um noch ein bisschen Halt zu haben. Ich sah in die Glut deiner unverbrauchten Augen, frei von Jahre lang erprobten Anbiedern, damit verbundener Müdigkeit. Frei von der Forderung, dass eine Frau die eigenen Lebensfehler wieder gut machen möge. Nur das Feuer, das Verlangen, das Leben. Der geistige Knockout stellte sich ein. Keine Warnungen mehr in meinem Kopf. Du drehtest mich. Man ließ uns den Platz, den wir brauchten, um unseren Akt zu vollziehen. Die Zeit stand still. Ich sah, wie Gesichter um mich herum ständig wechselten.

Augenpaare glotzen uns an, waren irgendwo da draußen. Ich überließ mich meinem Körper, um in der Wildnis dieser Nacht nicht verloren zu gehen. Beim Wirbeln spritze der Schweiß aus meinem Haar. Die Tropfen standen für einige Augenblicke in der Luft. Ich krallte mich in deine Flanken. Die Nässe deines T-Shirts ließ mich deine Haut fühlen.

 

„Was machst du eigentlich?“ fragtest du während des guten, alten Stehblues. „Keine Fragen. Ich will auch nicht wissen, was du sonst machst. Ich will fühlen, was und wie du bist.“ Du lächeltest. Ein Lächeln der Macht, begehrt zu werden. Das übliche Ritual der Präsentation blieb aus, stattdessen aus meinem Munde vertraute Laute aus intimen Situationen der Zweisamkeit. Mit diesen „Ahhs“ hätte ich nicht beginnen dürfen. Dafür würde mich mein Verstand irgendwann rügen. Du warst hinter mir, meinen bebenden Körper eng an dich gepresst, weiche Lippen auf meinen Schweiß nassen Schultern. Ich unterwarf mich mit einer Nackenbewegung. Sie gab weitere Stellen preis, die sich nach weichen Lippen sehnten. Ich hörte wieder meine „Ahhs“. Meine Ratio schien sich noch einmal ihrer Kraft zu besinnen, mich mit einer letzten, grandiosen Idee vor dem absoluten Kontrollverlust zu schützen. Ich sah meinen in die Jahre gekommenen Körper vor mir, all die Falten der alten Leinwand, die Risse der Statue aus der Antike. Ein Schutz vor Wiederbelebung von Flirts, One-Night-Stands und Beziehung. Deshalb hatten reife Frauen ihre körperlichen Merkmale. Ich werde mich nicht „dem Morgens danach“ ausliefern, die Gefahr nicht eingehen, auf Grund von Fossilienmakel für unwürdig befunden zu werden. Dann lieber keine „Ahhs“ und keinen Feuerspucker.

 

Du wolltest etwas zu trinken holen. „Aber du bleibst sicher hier?“ Die Frage zeigte das unversteckte Bedürfnis, dass ich bleiben möge. Jedes Wort war mit der Witterung deines Geruchs verbunden. Ich blieb.

Zitternd! Mein Verlangen hatte unendlich viel Zeit, sich nach mehr zu sehnen. Du kamst zurück mit dem Becken voran, und meines war schon wieder bereit. Du schobst mein Knie nach oben. Selbstverständlich für dich, dass ich mich auf einem Bein halten konnte. Deine Männlichkeit drückte sich an mich. Gab es noch andere um uns herum? „Du bist so wild,“ hauchtest du in mein Ohr. Wieso ich? Forderte ich, press dich an mich, schmeiß mich durch die Luft, werfe mich zu Boden? Sprach mein Körper Einladungen aus? Du wusstest nichts von diesen Gedanken, hattest mich hoch gehoben. Ich musste meine Schenkel um dein Becken pressen, schaute hinunter zu dir, du hinauf zu mir. Du lächeltest als wäre es die leichteste Akrobatiknummer der Welt, statt mich von dir zu stoßen, weil ich nicht das Leichtgewicht meiner Jugend war. Auf dem Boden zurück, zogst du mich am Haar heran, hieltest es während deines Kusses. Ich folgte der Herausforderung, drängte dir meiner Zunge auf, als ob ich dich mit Haut und Haar verschlingen wollte. Das hattest du spielend überlebt. „Wir müssen uns wieder sehen,“ waren deine Worte, nachdem du meinen Mund wieder frei gegeben hattest. „Nein, müssen wir nicht!“ Diese Passion durch Alltagszumutungen zu zerstören, die man freundlicherweise hinnimmt, um ein guter Mensch zu sein, hätte ein Sakrilegsbruch bedeutet. Dein Wohlstand oder ein Titel, den du erworben haben könntest, interessierten mich nicht, nur die erotischen Schweißtropfen auf deiner Stirn! „Aber du gibst mir deine Telefonnummer?“ Ich musste nicht antworten. Du zogst mich heran, drücktest mich weg, das Riesenrad bewegte sich wieder, meine „Ahhs“ ertönten. Glaub mir, es hat mich geehrt, dass du mich wieder sehen wolltest. Aber die Folgen des Austauschs von Telefonnummern waren mir bekannt. „Bist du verheiratet?“ Ein neuer Versuch von dir zu verstehen. Ich war entsetzt, dass du mir, die wie ein Leuchtturm keine Beziehung blinkte, diese Frage stelltest. Du konntest die unabweisenden Botschaften des Augenblicks und meine Abweisung für die Zukunft nicht verstehen.

 

Ich weiß noch, wie du vor dem Lokal ein Rad sofort als das meine erkanntest, obwohl du es noch nie gesehen hattest und nochmals nach meiner Telefonnummer fragtest. Da stand ich in viel zu weiten Thermohosen und einem Skianorak gegen die Kälte. Ich stand vor dir mit nassen Haaren, abgelutschter Schminke, nicht zu vergessen den alten Herrenpullover. Darunter das völlig durchweichte T-Shirt, das auf Grund seiner Weite, beim Tanzen immer wieder den Anblick meiner Brüste freigegeben haben musste. Ich stand mit großen Augen, konnte nicht fassen, dass du mich immer noch wieder sehen wolltest. Ich gab dir ein Papier, auf dem vor langer Zeit einmal die Ziffernfolge meiner telefonischen Erreichbarkeit stand, wusste doch genau, dass man darauf nichts mehr erkennen konnte. Ich hatte dich in deinem klaren Begehren kompromittiert. Es tut mir leid, du warst wunderbar.

 

Ich radelte heim durch die viel zu kalte Mainacht. Ich heulte, weil ich immer noch dieses Verlangen in mir hatte, es immer noch Männer gab, die es genossen. Weil ich den Tanz und die Leidenschaft so liebte, nicht mehr auf meine Weiblichkeit verzichten und mich mit meinem Verstand arrangieren wollte.

 

 

 

Ute Maria Graupner

 

 

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