Rückschau ins gelebte Leben
Während ich mir mein Morgenmüsli mit Obst und Joghurt zusammen- rühre, denke ich gedankenverloren zurück. Klar sind wir vergänglich - alle - und wir wissen, bald sind wir vergessen. Doch, dass es selbst im kleinen Kreis so schnell geht, erwartet habe ich das nicht. Oskar mein Öfchen bollert bei minus 12 Grad Kälte vor dem Fenster gemütlich vor sich hin und ich denke, - während ich mir meinen immer noch schönen grünen Christbaum betrachte - an Alexandra -meine Nachbarin die direkt neben mir wohnte und nun nicht mehr ist.
Welch schöner alter Name. Alles mit A ist alt - wie die Altersweisheit und Abgeklärtheit auch, - meiner auch, denn wer nennt sich heutzutage noch Angelika, meist sind es Abkürzungen die den ursprünglichen Namen verunstalten. Alexandra - Alphabeta, Augustine - Andrea - Agneta - Anna - Annika - Adele und Adelgunde, Amalia; - wahrscheinlich würde man sich die Zunge verrenken, - alles Mädchennamen die man kaum mehr hört, weil es sie schon so lange gibt - sie alt sind und oft eine Bedeutung hatten. Apropos alt...
Man sammelt auch heute noch - meist in Sammlerkreisen - alte und seltene Postkarten von (a - x = anno dazumal ?) und ab dem 18. Jahrhundert - weil sie so wunderschöne und seltene Motive und oft die alten Namen tragen, das gilt allgemein - zumindest in Künstlerkreisen - als Kunst und gehört in die Kategorie _ bitte nicht in Vergessenheit geraten_, denn es sind alte Werte die vergangen sind - doch der Mensch dahinter - egal ob er einen neuen oder alten Namen trägt - wird schnell vergessen.
Nicht so sie - die alte Dame - von mir. Sie war – wahr…ich denke, man nennt dies Wort (auch) wahrhaftig, so altmodisch wie dies auch klingt – und: sie wollte nie eine andere sein als die, die sie war. Offiziell stand 17 Jahre der Name Alexandra für andere auf dem Briefkastenschild – doch im Grunde ist sie Rosemarie geblieben, doch weiß das im Heute - 80 Jahre später - noch ein anderer wenn man keine Familienangehörigen mehr hat?
Vielleicht steht und bleibt sie namentlich im Stamm- oder Kirchenbuch der Gemeinde, im Einwohnermeldeamt für unlängst Verstorbene auf Ewigkeiten stehen, sodass man wusste - wer sie war – oder sie ist es im Gedanken und Verständnis derer, die sie unter diesem Namen einmal kannten.
So lange wie man an einen denkt, ist er da. ER stimmt einfach dieser alte Spruch der auch in Kirchenbüchern und oft in den Bestattungsnachrufen in der Zeitung steht. Mir verursacht er angenehme Gänsehaut. Nicht physisch und doch da. Es gibt ganz wenige Menschen in meinem Leben – früher und auch heute – an den ich so mit Respekt denke.
Wenn ich an sie denke, sehe ich sie auf ihrer Wolke am Himmel sitzen und feixen und grinsen, "ich sehe alles " – sagt sie dann.
" Glaub ja nicht, dass mir etwas entgeht", - und klatscht in die Hände um die Schäfchenwolken zu vertreiben oder um sie schneller voranzutreiben, denn sie war Immer für eine positive Veränderung. Ich denke – ihr geht’s gut, denn sie war immer der, der sie sein wollte. Sie war Mensch mit Kopf und Bauch. Und ist damit ein Mensch an den ich gerne zurück denke - für mich ist ihre Seele, dass was sie ausmachte – noch da. Sie war viel und so ganz anders als ich, vielleicht ist dies der Grund - warum ich so an sie denke.
Oft brüllend komisch, unfreiwillig humorvoll und gleichzeitig zutiefst religiös lebte sie ihr Leben in vielen Stationen die sich voneinander ab ihrer Lebensmitte stark von ihrem früheren ICH unterschieden. Keiner weiß, welche Menschen ihr in ihrem Leben begegneten, aber es müssen auch schwierige Lebensstationen gewesen sein, das spürte man wenn man sie ansah. Manchmal wünschte ich mir, sie als ganz junges Mädchen gekannt zu haben – allein um zu sehen wie - ob und wodurch sie sich geändert hat, was sie alles über Bord warf, - um zu sein wie sie wurde. Oder ob sie immer schon so war?
Sie war mutig mit Worten, nahm kein Blatt vor den Mund, eckte oft bei anderen an, weil es ihr egal war, was andere über sie dachten. Sie lebte schon lange allein als ich sie kennen lernte und oft dachte ich mir – wie packt sie das Leben und bleibt - hartnäckig, und unbeirrt, - so mutig wie sie ist?
Sie war gutgläubig, weil sie an das Gute im Menschen glaubte und die Hoffnung nie verlor. Für sie war das Glas immer halbvoll.
Das nötigt mir Respekt ab – ihr Mut über die Stränge zu schlagen war bewundernswert und beispielslos, immer authentisch zu sein bis zur eigenen Kapitulation war ihr Ziel.
Sie war eine Kämpferin – für ihren Glauben, gnadenlos ehrlich gegen die Ungerechtigkeit in der Welt – sie stand auf und kämpfte für das was sie sah. Sie war barmherzig und selbstlos, konnte gutmütig und lieb sein. Half anderen wo sie es konnte und alles was sie tat kam aus ihrem Herzen.
Sie war unbeherrscht, wenn sie etwas ärgerte, laut wenn sie etwas zu sagen hatte – aber immer gerecht und ehrlich gegen andere. Sie konnte fluchen wie ein Stallknecht, kannte Scham und Demut, Liebe und Vertrauen – sie war friedvoll und nett, wenn sie es sein wollte, verurteilte niemanden blind und suchte im Verstehen die Wahrheit der anderen wenn sie sie sah.
Ein Mensch der für sich steht. Ein Mensch der zu anderen steht, weil er sie versteht.
Es bleibt in mir - ganz viel von ihr zurück und wird in meinen Gedanken bleiben.
Aber – sie ist nicht mehr da. Wer wohl in einem Jahr oder schon bedeutend früher nicht mehr an sie denkt, weil sie bedeutungslos für andere und damit ein Plätzchen frei - in dieser Welt geworden ist?
Ich hoffe, und wünsche mir - sie hat nun ihr Plätzchen im Himmel gefunden an dem sie unbeschwert froh und gleichzeitig glücklich ist. Vielleicht lernt sie ja noch da oben zu tanzen, denn das vermisste sie immer, schwerelos zu sein.
Vor - und Rückschau - Gedanken an....**** 22.01.2019 © Angelface