Blutgesang Kapitel 2 – Die Bitte

Der Durst weckt mich und meine Begleiter. In einer seligen Stunde der Nacht, in der wir nicht gefroren hatten und wie durch ein Wunder weder hungrig noch durstig gewesen waren, muss sich der Schlaf über uns gelegt haben. Ich fühle mich eigenartig. Mir war, als hätte mir jemand im Schlaf etwas zugeflüstert, aber ich kann mich nicht entsinnen, was dies gewesen sein könnte. Eine Art Gesang vielleicht. Möglicherweise haben uns diese Wilden sogar schon verhext, wer weiß? Bei diesem Gedanken drängt sich mir eine Frage auf: Was hätten sie davon? Wir sind nur unbedeutende Diener eines bedeutenden Mannes, der am Ende seines Lebens steht… Meine Begleiter verlangen nach Wasser und ich verlange den Anführer der Oase zu sprechen, doch die Wächter bleiben stumm. Eine Gestalt nähert sich fast lautlos unseren Käfigen. Etwas Eigenartiges geht von ihr aus – fast, als würde ein Flüstern sie begleiten, doch ich täusche mich gewiss. Meine Sinne beginnen wohl, mir Streiche zu spielen.

 An’ja’li stand vor den Käfigen und lauschte. Vielleicht. Vielleicht. Ja, vielleicht war der Zeitpunkt gekommen. Aber sie sollte noch genauer hinhören, noch tiefer hineinsehen. Der Mann, der als Einziger noch nicht nach Wasser verlangt hatte, mit ihm würde sie sprechen. „Sprecht. Äußert Eure Bitte.“, begann sie. „Eine Frau ist euer Anführer?“, frage ich ungläubig. „Ihr denkt doch nicht etwa, wir würden euch unbedeutendes Gesindel mit unserem Anführer sprechen lassen? Er ist viel zu beschäftigt für so etwas. Äußert Eure Bitte oder zieht unverrichteter Dinge ab.“ Das Gesicht der Sprechenden ist nicht zu erkennen, sie hat eine Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Aber ich meine, eben eine Art von Belustigung in ihrer Stimme zu vernommen zu haben.

 Ich nehme meinen ganzen Mut und meine letzte Kraft zusammen und beginne zu erzählen. „Unser aller König Aldan zählt sechzig Winter und ist dem Ende nahe. Zwielichtige Thronschleicher belagern ihn und wir wissen nicht weiter. Seinen Vorgängern verdanken wir eine lange Ära des Krieges und anderer Dinge, welche verachtenswert sind. Aldan brachte uns Frieden und Wohlstand, doch er hinterlässt keine Erben. Er wollte mit seiner Gemahlin erst dann Kinder in die Welt setzen, wenn sie befriedet ist. Als sie dies war – zumindest innerhalb der Reichsgrenzen – war es zu spät, so scheint es. Vor kurzem sind ihm Gerüchte zu Ohren gekommen, dass in der Wüste ein Volk lebt, das einem Mann die besten Jahre wiedergeben kann. Wenn dies der Wahrheit entspricht und die Dalrin dieses Volk sind, bitte ich im Namen König Aldans und im Namen all dessen, was gut und gerecht ist, darum, dass –“ „Weitere Worte sind überflüssig. Nun ist gewiss, warum Ihr gekommen seid. Wenn eine Entscheidung getroffen wurde, werdet Ihr davon in Kenntnis gesetzt. – Gebt ihnen Wasser.“ Wir erhalten Wasser und die verhüllte Frau zieht von dannen.

 Das Schicksal eines Volkes in den Händen von Wilden. Oh, wie tief müssen wir gesunken sein, um sogar Hexerei in Betracht zu ziehen? Es steht mir nicht zu, so zu denken. Ich bin nur ein einfacher Diener, der den Befehl seines Herrn befolgt. Alles Andere ist ohne Belang. Ach, meine geliebte Elsa, wie sehr sich mein Herz nach dir verzehrt. Wenn wir überleben, kann ich dich endlich ehelichen. Wie immer müssen wir geduldig sein, welche Pläne Gorlon mit uns hat. Ob nun Krieg oder Frieden, Leben oder Tod – Gorlon ist der Anfang und das Ende aller Schicksale. Wie wohl jenes meiner Begleiter und mir aussieht? Wir werden es wohl bald erfahren.

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