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Eine etwas andere Art

Eine etwas andere Art

 
 

 

Es gibt geheime Wünsche vielfältigster Art. Von dunklen Mächten getrieben, von kühnsten erotischen Phantasien verfolgt, von hehren Zielen geplagt und von ganz einfachen, ja geradezu einfältigen Wünschen bewegt, getragen von der Hoffnung, eines Tages geht der Wunsch in Erfüllung, knüpft der Mensch Faden für Faden das immer dichter werdende Gewebe seiner Gespinste, bis plötzlich die Pforte der Erlösung, die Entwirrung seines Kokons, weit aufgerissen wird.

Ein Zufall, des Öfteren lamentiert als dummer Zufall, verleitet ein schwach gurgelndes Lebensbächlein derart, dass es seine Knöchel hohen Ufer überschreitet, ja sogar tief Luft holt und von einer Sekunde zur anderen zum reißenden Strom mutiert.

Hebt Beton schwere Hemmnisse, die schwankend auf sandigem Untergrund verwurzelt sind, wie z. B. Ja, aber, wie denn, ach nein, das wird ja doch nichts, aus morschen Angeln und setzt sich, so aufgeblasen, aufblühend auf den Rand der Gondel eines emporsteigenden Ballons.

Dieser ballastfreie Zufall hat mich eingeladen, meiner pulsierenden Krämerseele Flügel zu verleihen, endlich einmal das zu tun, was ich immer schon gern getan hätte.

Nicht ballastfrei, im Gegenteil, Gedanken auf höchster Ebene lösen einen nicht eindämmbaren Flächenbrand aus, graue Zellen stellen Pläne auf, wann meine ausgebreiteten Flügel zum ersten Mal auf den ungeordneten Aufwärtswinden der Thermik in Berührung kommen würden, um  zupackend, bisweilen keuchend ans Ziel meiner Wünsche zu gelangen.

Es handelt sich ganz einfach um Flohmärkte, um das eigenbeinige Stehen auf einem Flohmarkt, nicht auf einem x—beliebigen Flohmarkt, ganz präzise um den in der Landeshauptstadt Niedersachsens.

Weit genug entfernt von Nase rümpfenden, Kopf schüttelnden Begleitpersonen eines doch recht lustigen und erfreulichen Lebensabschnittes am Ende des zweiten Drittels, wenn man die Zahl neunzig als Bemessungsgrundlage zitiert. Es fehlen noch zwei Jährchen daran, die ich aber mit Hilfe spontaner und durchaus geplanter Aktivitäten um etliche verlängere, die mich wiederum in den Neubeginn des letzten Drittels katapultieren.

Mit solchen Hoffnungen angereichert, lüfte ich meinen Herzenswunsch, oute meine geheime Neigung, in die Niederungen der fliegenden Händler absteigen zu wollen.

Wie ich die immer beneidet habe! Freistehend auf allen möglichen Plätzen, in höchstem Maße ungebunden und mit der Zunge flink wie Erbsenpulerinnen mit den Fingern, gewissermaßen schon eine nicht unerhebliche Klasse höher als die Bauchladenverkäufer mit ihrem doch eingeschränkten Sortiment. Selbst die beneidete ich seit frühester Kindheit.

Sie kannten alle Leute, kamen überall herum und meistens gelegen. Oft half schon die Rolle Nähgarn oder ein Knopf so manchem Familienfrieden wieder auf die Beine oder einer versierten Schneiderin zum Entzückens Schrei anlässlich des Erwerbs von bunter Borte, die ihrer Bluse den letzten Pfiff schenkte.

Bargeld gehörte zu den wenig abgenutzten Begriffen des Wortschatzes, hörte sich eher klassenfeindlich an, von denen man lieber die Finger ließ.

Mit offenen Armen, aber leerem Geldbeutel empfangen, endete der Kaufrausch oft genug unglücklich für beide Seiten. Die Frauen schimpften über haltlos erhöhte Preise, verloren dergestalt die Kontrolle über sich, dass der überaus freudig Empfangene mitsamt seinem Bauchladen eher einem wüsten Halsabschneider glich.

Die verfahrene Situation konnte nur gemildert werden, indem der Händler aus dem Bauch heraus eine Mäßigung seiner Forderungen vorschlug. Nun konnte man wieder vernünftig miteinander reden, es fanden sich Geldstücke in einem unaufmerksamen Seitentrakt der Geldbörse. Die Ware wanderte in bereitgehaltene Schürzen, die Zipfel fest zugehalten, schnell bezahlt, falls sich der Händler das anders überlegen und seinen Großmut bereuen würde.

Von irgendwelchen Geheimfächern in Geldbeuteln hatte nie ein Reisender in Sachen Haushaltsartikel, Nähbedarf, Süßwaren usw. je gehört. Er wusste von Geldbörsen, die ohnehin die meiste Zeit über innere Leere klagten, in die wohl aber infolge ständigen Suchens nach Pfennigstücken vom Bohren mit spitzen Fingern sogar Löcher eingraviert waren, die nachrückenden Kupferstücken zum Durchbruch verhalfen und ihnen die Möglichkeit vorenthielten, als Zahlungsmittel erstandener Ware den Besitzer zu wechseln.

Alle kannte er sie. Die, die heuchelten, und die, die nachts vor Hunger nicht einschlafen konnten. Im Laufen spuckte er seinen Unmut in den Wind, rülpste kräftig und dachte zufrieden an seinen prallgefüllten Lederbeutel. Er kam immer auf seine Kosten. Im nächsten Gasthaus würde er sich ein deftiges Mahl bestellen mit einem großen Bier dazu.

Mich drückten Hinterlassenschaften aus zwei Haushaltsauflösungen. Zum Wegwerfen zu schade, sollten Mitmenschen ihre Freude daran haben, einfach ein Schnäppchen machen.

Die Art zu verkaufen, hat mich fasziniert. Als Außenseiter wundert man sich über die Beziehungslosigkeit zwischen Käufer, Ware und Verkäufer, ja, man muss sogar an ein artiges Geschäft denken, weil nur geantwortet wird, wenn gefragt wird. Ansonsten steht man teilnahmslos, ja gelangweilt herum, schaut in irgendeine Richtung, sieht den Interessenten überhaupt nicht, um ihn ja nicht zu erschrecken, ihn aus seinen kauftechnischen Überlegungen herauszuholen.

In Wirklichkeit brodeln Kessel voller Fragen und Forderungen hinter der Stirn. Wieso überlegt der Mensch so lange? So ein schönes Stück bekommt er so schnell nicht wieder! Je länger er überlegt, umso tiefer muss ich wohl mit meinem Angebot heruntergehen. Nun mach schon!

Auch der Käufer zeigt nie mehr als eher gelangweiltes Interesse, auch wenn das begehrte Stück noch so gut in seine Sammlung passen würde. Richtig freuen kann er sich erst zu Hause. Dort beobachtet niemand mehr seine Mimik, die ja für alle Standinhaber Barometer für seine ins Auge zu fassende Strategie ist. Zu Beginn der Feilscherkarriere vergaß ich häufig, den Preis hoch genug anzusetzen. Dann durfte ich keinen Pfennig mehr abziehen. Ein Kunststück, unterstützt von lieblichen Engelszungen, diesen Preis zu halten. Es gab natürlich auch Höhepunkte als Ausgleich für allzu dreiste Ansprüche seitens der Kundschaft.

Ein gut funktionierender Rasierapparat sollte für fünfzehn Mark über den Tapeziertisch gehen. Ich sagte also auf die Frage, was der denn kosten solle: „Fünfzehn.“ Der Kunde fing nun seinerseits an zu feilschen: „Nicht fünfzig, dreißig.“ „Na gut, weil Sie es sind.“

Hand in Hand mit Rumpelstilzchen tanzte ich ums Fegefeuer. Vorsichtig sah ich mich um, ob keiner zuschaute.

Oder der türkische Mitbürger, der mit zwei unterschiedlich großen Orchideenvasen seine häusliche Wohnwelt zu schmücken gedachte, aber nur eine Preishöhe akzeptieren wollte, nämlich den für die kleinere Vase: jämmerliche Einemarkundfünfzig.“Nein, zwei Mark“, antwortete ich mehrfach auf sein lumpiges Angebot. Auch zog ich die Zahl Zwei ähnlich gedehnt in die Länge wie mein Gegenüber.

Er reichte die zwei Mark herüber. „Sehen Sie, Sie haben’s doch!“

Nun lachten wir gemeinschaftlich.

Oder die beiden älteren Herren. Es ging diesmal um weiße Ballettschuhe, kaum getragen. Sie kamen fast gleichzeitig, fast. „Ich war zuerst“, brachte sich der um eine Nasenlänge zuvor Angekommene zu Gehör. Der zweite Anwärter ging beleidigt weiter. „Kann ich die im Hause tragen?“ „Sehr gut sogar.“ „Ja, ich überlege mir das.“ Weg war er.

Schon bald ergab sich für den Abgedrängten die Chance. Ganz verschämt erkundigte er sich: „Kann man die denn im Haus anziehen, als Hausschuhe?“ „Jaah, und wenn Sie dieses Röckchen (ein mausgraues Mini-Strickröckchen von unserem Töchterchen, ganze vierzig Zentimeter lang) dazu anziehen, dann tanzen Sie Ihrer Freundin etwas vor. Und ich möchte gern Mäuschen spielen.“ Für acht Mark gab es noch Spaß extra. Sichtlich zufrieden ließ er seine zukünftigen Hausschuhe in die Tasche gleiten.

Damit waren die letzten Reste von Anflügen einer steilen Ballettkarriere unserer Tochter vom Himmel gefallen, die sich, dazu bedurfte es keiner Hellseherei, schon in den Anfängen als flügellahm entpuppten. Immer wenn die Füße anfingen, Kopf zu stehen, füllte sich das Bäuchlein der Tanzmeisterin, sie bekam ein Kind. Viele kleine Kinderchen wünschte ich ihr von Herzen. Nach dem vierten Baby setzte das Sprudeln aus Quellen der Fruchtbarkeit ganz aus. Die Begeisterung der Debütantinnen pendelte bereits um den Nullpunkt herum.

Eine Dame klagte, dass bei dem Kroko-Portemonnaie kein Fach für Kleingeld vorhanden sei. „Geben Sie sich nicht mit Kleingeld ab! Stellen Sie sich vor, wie das ausbeutelt!“

Fünf Mark, mehr nahm ich nicht. Ihr gesamtes Kleingeld wanderte in meine Tasche.

„Warum ist die Leine so rot?“ Die Frage konnte ich einfach nicht beantworten, und wenn der freundliche Herr noch wissbegieriger dreinschauen würde. Was weiß ich, an welchen Tagen die Leine bunt gefärbt wird. Samstags rot, sonntags vielleicht grün und donnerstags himmelblau? Nett fand ich, dass er mich als Hannoveranerin definierte und nicht als eingeschleuste Feldmaus. Ich gab mich immer städtischer.

Meine ungeliebte Lederjacke mauserte sich zum Lockvogel. Ihre Puffärmel schwollen an, die Knöpfe blinkten im Sonnenlicht, sie wusste, worauf es ankam.

Die Frauen sonnten sich darin, verzogen ihre Mundwinkel beim Erwähnen des Kostenpunktes schmerzhaft – wie üblich – und ließen davon ab. Sie würden sich das noch einmal überlegen. Sie kamen alle wieder. Ihre Augen flackerten zu unruhig beim Anprobieren.

Vielleicht hätte ich das Doppelte nehmen sollen. „Greifen Sie zu, es haben sich zwei weitere Interessentinnen gemeldet, die nur kurz über den Markt wollten! Greifen Sie zu, sonst ist die Jacke weg! Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“ Sie war nun stolze Besitzerin einer bildschönen Lederjacke für nur fünfundvierzig Mark, die ihr noch weniger zu Gesicht stand als mir.

Zwei nette ältere Damen gehen mir nicht aus dem Kopf. Sie kauften zwei Tischdecken à zwei Mark bei mir, fanden sich nach Erkundungsgängen hier ein und zeigten ihre Schätze. Ich sollte doch Restbestände bei meinem Sohn in den Keller stellen und nächste Woche wiederkommen.

Dagegen erklärten mir zwei ausgebuffte Händler, ich möchte Antiquitäten mitbringen. Gewiss wollten sie gute Ware für wenig Geld abluchsen, um sie teuer zu verhökern. Tzz…

Und da fragen Menschen, was ich davon hätte, so auf dem Flohmarkt zu stehen.

Wenn die wüssten!

© Margit Farwig

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