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Mia Mondstein - Mein Weihnachten zuhause - Damals in den 60ern

Mia Mondstein - Mein Weihnachten zuhause - Damals in den 60ern

Mein Weihnachten zuhause - Damals in den 60ern

Früher als Kind fand ich Weihnachten richtig schön. Man war so „mittendrin” in der Familie. Wenn die „besondere Zeit“ näher kam, gab es aber erst mal viel Arbeit, denn vorher wurde das ganze Haus geputzt und geschmückt. In jeder Ecke war etwas Weihnachtliches zu finden, sei es ein Figur, ein Fensterbild, ein Gesteck oder ein Schleifchen. Sogar meine Teddys und Puppen hatten Weihnachtsmützen auf. Alle Teppiche im Haus, ob raumfüllend oder kleiner Läufer, wurden freigeräumt, zur Teppichstange im Garten geschleppt und mit dem aus Kork geflochtenen Klopfer ordentlich „malträtiert“. Manche Schweißperle floss dabei vor Anstrengung. Und damit das „gute Stück“ auch wirklich frisch roch, legte man dieses anschließend in den Schnee, rieb es manchmal auch damit ein, und dann musste es nur noch wieder trocknen.

Ja, zu meiner Kinderzeit in den 60ern gab es im Westfalenland noch richtig hohe Schneewände und tiefe Spuren im Garten und auf den Waldwegen, die man versuchte zu deuten. Und es gab meterdickes Eis auf den Seen und Flüssen zum Schlittern und Kurven, sowie magische Eiszapfen und Eisblumen an den Fenstern.

Aber zurück zum weihnachtlichen „Groß-Reine-Machen“. Wenn man schon alle Teppiche reinigte und alle Fenster und Türen putzte, dann natürlich auch alle Möbel und das „gute“ Geschirr. Ich erinnere mich noch immer an die wunderbar gedrechselte breite helle Holztreppe, die, als ich klein war, vom Erdgeschoss in die erste Etage führte. Ihr Geländer und die einzelnen Streben wurden mit duftender Möbelpolitur behandelt, bis alles glänzte. Und wenn ich in Gedanken diese Treppe betrete und hinaufgehe, werde ich Schritt für Schritt wieder Kind und stehe in unserem alten Kinderzimmer, das sich dort oben befand. Ich schreibe hier „unser“, denn mein kleiner Bruder hauste dort ebenfalls mit mir. Jeder hatte seine Ecke mit seinem Kram, aber das war für mich noch nie ein Problem. Ich habe schon immer gerne gegeben und geteilt. Für mich war und ist es ein ganz besonderes Gefühl, Andere zum Lächeln zu bringen.

Aber nicht nur im Haus, sondern auch drumherum musste alles „picobello“ sein. Die Wege zum Haus wurden vom Schnee befreit und gefegt, der Garten wurde neben den Schneemännern, die mein Bruder und ich gebaut hatten, mit Figuren und Lichtern geschmückt. An der Haustür hing ein „Willkommen“-Weihnachtskranz. Neben der Eingangstreppe stand immer ab dem ersten Advent ein kleiner Weihnachtsmann, dem ich, als ich klein war, oft einen Apfel, Nüsse oder ein Plätzchen vor die Füße legte. Und ich bastelte und malte Geschenke für meine Eltern und Großeltern.

Damals war es noch eine ruhige, besinnliche Zeit. Nachbarn grüßten sich noch, und jeder kannte sich in unserer Straße. Kinder konnten noch bis zum Dunkelwerden draußen spielen und wenn jemand krank war, kam man vorbei, fragte nach dem Befinden und half sich ohne Fragen. Man war nicht irgendjemand, man gehörte dazu. Man war mittendrin und dabei. Und dann, nachdem alles vorbereitet, Plätzchen gebacken und alles im Haus, was benötigt wurde, war der Tag da – Heiligabend!

Alle Mitglieder unserer Familie schmückten an Heiligabend den Baum zusammen, jeder hat seine “Lieblingskugel”. Ich hatte damals eine ganz besondere. Sie war beige mit Teddybären rundherum, und mein Bruder hatte eine, die aussah wie ein kleines Schaukelpferd. Meine Oma durfte immer sagen, wo die Kugel denn hin sollte. Mutter hielt die Lichterkette und mein Vater brachte sie am Weihnachtsbaum an. Alles mit elektrisch oder zum hämmern oder bohren, das war zu meiner Kinderzeit immer Männersache. Dann durfte ich, weil ich die Älteste war, das Lametta über den Baum werfen. Und mein Opa hat ganz oben auf die Spitze des Baumes den Weihnachtsengel gesetzt. Wenn dies Alles zur Zufriedenheit Aller erledigt war, wurde das Wohnzimmer verschlossen, und nur mein Vater hatte den Schlüssel. Mittags gab es Suppe, wegen der großen Essenserwartungen an den darauffolgenden Tagen. Meist wurde mein kleiner Bruder dann schon sehr unruhig, weil er es kaum erwarten konnte, dass die Türe des Raumes mit dem Weihnachtsbaum und den Geschenken wieder geöffnet wurde. Doch nach dem Mittag wurde erst ein wenig „geruht“ und dann besuchte man „fein herausgeputzt“ den Gottesdienst. Oh, wie ich diese lange kratzige, kneifende Wollstrumpfhose hasste und dieses rosa „Kostümchen“. Und die ganze Zeit musste man stillsitzen und schweigen! „Gott sei dank“ durfte ich mich, sobald wir wieder zuhause waren, etwas Anderes anziehen - aber immer noch was „Feineres“, wenn auch bequemer. Dann saßen wir mit Oma in der Küche. Sie las uns vor und erzählte schöne Geschichten über die „Heilige Nacht“ und das „Christkind“ und den Engel mit dem Stern.

Vater und Mutter waren in dem „geheimen“ Raum verschwunden und man vernahm ab und an Geräusche. Unerträgliches Warten und Spannung - bis die uns allen bekannte Weihnachtsmusik von der alten Schallplatte erklang. Und dann, so gegen 18 Uhr, hörte man ein leises Glöckchen. Ganz fein und hell rief es uns in das Wohnzimmer, der durch den beleuchteten Weihnachtsbaum in eine Art magisches Licht gehüllt war. Auf dem Tisch neben dem Baum stand die alte Krippe aufgebaut mit den Figuren, die schon früher mein Urgroßvater mit staunenden Augen betrachtet hatte. Wir alle standen dann Hand in Hand sangen mit leuchtenden, manchmal tränenfeuchten Augen ein oder zwei Weihnachtslieder. Ich gebe zu, schon beim Singen schaute ich in die Ecke, wo die bunten Päckchen lagen und versuchte zu erraten, was sie denn wohl enthielten. Für Oma und Opa sagte ich oft auch noch ein Gedicht auf. Manchmal aber stand da auch etwas Großes, wie ein Kaufmannsladen oder ein Trecker. Dann war es nicht leicht, nicht gleich dorthin zu stürmen, sondern erst zu Ende zu singen, ein Gedicht aufzusagen und alle zu umarmen. Mutter hatte Kartoffelsalat und Würstchen vorbereitet, und wir durften ausnahmsweise im Wohnzimmer essen. Die „Großen“ tranken ein „Sektchen“ oder „Likörchen“, und man erzählte sich bis in die tiefe Nacht hinein Geschichten von früher. Mein Bruder und ich durften richtig lange aufbleiben und spielen. Manchmal ging ich noch mit Oma hinaus in den Garten. Die Beleuchtung hatte sie zuvor ausgeschaltet.Ganz warm eingemummelt standen wir zwei dann da im Dunklen, und die Sterne über uns schienen ganz nah zu sein. Manchmal fiel eine Sternschnuppe herab.

Aber ich habe mir damals immer nur eines gewünscht: Es solle so sein wie in diesem Moment, die Zeit solle stillstehen. Damals war ich wunschlos glücklich.

Das ist schon lange her. Weihnachten ist heute immer noch die Zeit, wo ich alles sauber mache und ein wenig schmücke. Es wird ruhiger. Ich verschicke noch immer Karten und Päckchen, rufe Freunde an und ich kaufe noch immer Leckeres ein für die Feiertage. Doch der Zauber ist verflogen. Jeder lebt heute für sich anonym in seinem Viertel und hinter den Fensterscheiben oder seiner Wohnungstür. Meine Familie ist unvollständig geworden und das Haus meiner Kindheit wurde verkauft. Mancher meiner Anverwandten und Freunde ging seiner Wege und einige kamen nicht zurück. An Wunder und Sternenglanz kann ich schon lange nicht mehr glauben, dafür ist zu viel geschehen in meinem Leben. Die alte Krippe meines Urgroßvaters ist nur noch ein Dekorationsstück, welche in meinem Keller, sorgfältig in Handtücher gewickelt, darauf wartet, mit all seinen Figuren wieder aufgebaut zu werden. Doch das wird wohl nie mehr geschehen. Die Erinnerungen an frühere Zeiten, wo noch alle gemeinsam diese bestaunten, tun zu weh. Für meinen erwachsenen Sohn und mich haben Weihnachtsbaum, Krippe und alle Symbolik nach und nach an Sinn verloren.

Doch die selbstgebackenen Plätzchen, die Ruhe, Nähe und Wärme des Zusammenseins genießen wir noch immer sehr. Doch ist dieses Gefühl hier bei uns nicht nur an den Weihnachtstagen gegenwärtig. Oft sitzen wir zusammen auf dem Sofa, schauen alte Fotos an und unsere beiden Kater legen sich neben uns, um sich ihre Streicheleinheiten zu erbitten. Die Heizung klopft leise vor sich hin, und es gibt Mehlpfannkuchen mit Apfelmus.Wenn nicht das große Glück anklopft, dann nehmen wir auch gerne ein Kleines!

© Mia Mondstein 2022

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