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Sie nam' das was von Felix Fritzsche

Sie nam' das was von Felix Fritzsche

 Sie ham’ da was


Was soll man tun, wenn im Lieblingsrestaurant eine Frau jenseits des mittleren Alters lautstark und übel riechend allen die Eigenheiten ihrer Verdauung mitteilt? Man setzt sich woanders hin oder weist die Dame darauf hin, dass man so was beim Essen, und vor allem wenn man den Mund voll Schnitzel mit Mischgemüse hat, lieber unterlassen sollte. Bin ich jetzt freundlich, vielleicht hat sie es ja nicht bemerkt, oder bin ich das fiese Schwein, das die Arme vor versammelter Mannschaft brüskiert? Ich halte mich selbst für einen freundlichen Menschen, der seinen Mitbürgern in jeder Lebenslage zu Hilfe eilt, sei es ein offener Schnürsenkel oder ein Rest Currywurst im Mundwinkel. Deswegen weise ich die Frau dezent auf ihren Fauxpas hin und versuche, mit Febreeze wieder eine angenehme Situation herzustellen.
 
Ich glaube auch, dass meine Art bei den Leuten ziemlich gut ankommt. Und mein Beispiel macht Schule. Wir sind jetzt alle sehr freundlich in unserem Viertel. Jeder geht nie ohne sein Hilf-Den-Anderen-Set aus dem Haus. Ein Kamm, Tempos, etwas Schuhcreme, Zahnseide, Lufterfrischer oder Tampons gehören zur Grundausstattung eines jeden Bürgers bei uns. Wir halten die Straßen sauber, kümmern uns liebevoll um die Stehpinkler und weisen unsere Gäste freundlich darauf hin, wenn hier und da mal ein übler Geruch die Frische in unserer Straße beeinträchtigt.
Neulich kam da wieder so einer, der sehr hilfebedürftig aussah, und wer wären wir, wenn wir nicht umgehend dafür sorgten, dass der Mann aufs angenehmste von uns überrascht ist. Mit einem freundlichen Guten Tag auf den Lippen beleckte ich mein Taschentuch, um dem Herrn die Brötchenkrümel aus dem Mundwinkel zu reiben. Er hat sie wohl nicht bemerkt.
„Sie ham’ da was am Mund.“
„Jama shinaide kudasai!“*
Der Schneider von nebenan kam gleich zu Hilfe und setzte den Guten auf die Parkbank. Anfangs wehrte er sich irgendwie. Auch war der Bürger etwas durcheinander. Jedenfalls redete er ziemlichen Kauderwelsch.
„Iie! Iie!** Jama shinaide kudasai! Jama shinaide!“
Der Schneider von nebenan holte seinen Kamm und kümmerte sich um das Haar. Im Nullkommannix war der Mann gesäubert, gescheitelt, deogesprayt und bereit, seinen Weg fortzusetzen. Er dankte es uns mit einem kurzen Blick zurück und einem herzlichen Gruß mit seinem Finger.
Jeden Tag eine gute Tat. Allerdings reicht uns das nicht. Wir wollen jedem helfen, und das den ganzen Tag. Deswegen hat die FB, die Freundliche Bürgerwacht, jetzt modernste Technik angeschafft. Wo auch immer üble Gerüchen den Alltag stören, gibt es Großalarm und die Bürgerwacht rückt mit den Frischemobil aus. Doch auch die Technik versagt manchmal. Wie zum Beispiel vorgestern. Da wurde anlässlich einer Hochzeit beim Griechen der Knoblauchalarm ausgelöst. Doch das Frischemobil wollte einfach nicht anspringen. So rief der Vorsteher unserer Bürgerwacht den Ausnahmezustand aus. Wir rückten zu Fuß aus. Sämtliche Zufahrtsstrassen zum Restaurant wurden abgeriegelt. Das Lokal musste sofort geräumt werden, was den Besuchern leider gar nicht gefiel. Die Einsatztruppe der Bürgerwacht empfing die Gäste vor der Tür mit freundlichen Gesichtern und Tempotaschentüchern. Einige der armen Teufel hatten sich fürchterlich mit Metaxasoße bekleckert. Sie wurden liebvoll von den Ehefrauen der Bürgerwächtler entkleidet und die bekleckerte Oberbekleidung in die mobilen Waschmaschinen gesteckt. Jeder bekam noch eine Handvoll Pfefferminzbonbons in den Mund gesteckt, und die erste akute Gefahr war beseitigt. Puh, das war knapp! Die Hochzeitsgäste regten sich fürchterlich auf. Ich muss schon sagen, ich hätte doch etwas mehr Dankbarkeit für unsere selbstlose Hilfe erwartet. Schließlich findet das alles in unserer Freizeit statt, und wir sehen keinen Cent für unsere Bemühungen. Aber einige ziehen es anscheinend doch vor, sich aus Gründen der Faulheit für ein Leben voller Stänkerei zu entscheiden. Naja, die werden schon sehen, wo das hinführt. Wir können nicht überall sein, und irgendwann kommt der Tag, an dem diese Leute dringend Hilfe benötigen, und wir werden dann sagen „Kommt nicht in Frage!“.
Wir sind auch politisch sehr engagiert. Neulich waren wir alle zur Kundgebung. Die Kämme konnten wir zu Hause lassen, da die Anwesenden irgendwie alle keine Haare hatten. Aber es gab genug Gelegenheiten zur Hilfe. Offensichtlich litten die meisten unter psychischen Störungen, was sich in kollektivem, wahnsinnigem Geschrei äußerte. Selbstverständlich hatten wir einen Vorrat an Beruhigungsmitteln parat der mit Früchtetee gereicht wurde. Unser Massagekommando griff sich die raus, die wegen rheumatischen Beschwerden Probleme hatten, den rechten Arm am Körper zu halten. Den jungen Männern konnte selbstverständlich geholfen werden. Dem Redner reichten wir etwas gegen die Heiserkeit und rieben ihm den Hals mit Pulmotin ein. Auch mussten hier einige Stiefelpaare geputzt werden. Nachdem die Menge versorgt war, zog sie wieder ab. Wir hoffen natürlich, dass es ihnen jetzt besser geht.
Bei uns ist es jetzt schön ruhig. Die Sache hat sich soweit herumgesprochen, dass nur noch selten Hilfe geleistet werden muss. Ich glaube, dass unsere Klienten jetzt gelernt haben, sich selbst zu versorgen. Wenn unsere Arbeit weiterhin so gute Früchte trägt, wird die Welt bald viel besser sein.


* Jama shinaide kudasai!(japan. Lassen Sie mich bitte in Ruhe!)
** Iie(japan. Nein)



Veröffentlicht am:
11:08:12 10.10.2007

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