Kriegsstory Teil II - Die Familien Zuhause



… die junge schlanke Frau geht eiligen Schrittes die kleine Landstrasse am Feldsaum entlang. Leichter Nebel liegt über dem Dorf, es herbstelt schon sehr. Die Morgensonne scheint blass durch die teils schon lichten Baumkronen. Den braunen Herbstmantel eng um sich geschlungen, schreitet sie rasch voran, einen weichen braunen Filzhut auf dem mittelblonden welligen Haar. Sie bückte sich hier und da, wo auf dem Feld noch ein restlicher Kohl oder Salat liegt, den die Bauern bei der Ernte einfach liegen ließen und der dann dort verfaulte. Einige Kartoffeln – ganz kleine - blieben nach der Stoppelernte auch immer zurück, niemand kümmerte sich darum, auch die ließ man achtlos verfaulen. Diese konnte sie gut gebrauchen, sie musste nur in aller Frühe sammeln gehen. Den alten Korbkinderwagen schob sie vor sich hin, in dem sie das kostbare Gut transportieren konnte.

Für die Mithilfe beim Bauern, zu der man gezwungen war, bekam man nichts. Im Gegenteil, die Bauernkinder aßen die roten Erdbeeren vor den hungrigen Augen der Städterkinder allein weg, sie aßen nicht sie fraßen, mit der geizigen Manier, desjenigen der *hat. Sie warfen es eher weg, als dass sie es hergegeben hätten. Sinnend geht sie immer weiter, die stille Strasse entlang, dem Tag entgegen und zurück nach Hause, d.h. zurück in das evakuierte zu Hause. Sie hat noch genug Zeit, um der kleinen Marilu in Ruhe das Frühstück machen zu können, denn sie ist in aller Frühe losgegangen.

Ihre Gedanken gehen zurück nach Düsseldorf. Hier ist sie nur eine Fremde, fühlt sich auf dem Land nicht wohl, die Bauern schauen die Städterin feindlich an. Ihren Mann, den Oberfeldwebel, nannte man hinter der Hand den *Baron*, weil er so stolz und zackig daher kam. Man wurde nicht freundlich empfangen, man mochte die Städter nicht und wollte sie auch nicht eingliedern. Etwas freundlicher wurde man, als sich heraus stellte, dass der junge Soldat nach einiger Zeit immer noch nicht wieder kam, da flammte wohl so etwas wie Mitleid auf. Margret, die immer gleich bleibend freundlich war, zog langsam die Sympathie der anderen auf sich. Sie hatte die Familie des Bruders und eine ganz liebe Nachbarsfamilie um sich, die ihr liebevolle Begleiter waren in der Zeit, wo ihr Mann an der Front war. Das genügte ihr, hatte sie doch schon so viel Schlimmes in ihrer Heimatstadt Düsseldorf erlebt, dass das spiesbürgerliche Denken hier im Ort ihr nichts anhaben konnte. Wer in der Stadt den Krieg aus nächster Nähe erlebt hatte, den störte so etwas nicht mehr.

Sie sieht sich wieder durch die Strassen zu Hause zur Arbeit gehen, sieht voll Grauen überall Glas liegen, zerschmetterte Ladenscheiben, die Geschäfte verwüstet, Judensterne auf die Wände und restlichen Fenster geschmiert, ihr Schritt wird unbewusst schneller. Alle, aber fast alle Läden waren demoliert, als sie damals am frühen Morgen zur Arbeit ging. Ihr lief es damals wie heute noch kalt den Rücken runter. Dann dachte sie an den Nachbarn aus der Parterrewohnung. Wie es spät abends schellte an der Tür des Nachbarn. Zwei Herren in schwarzen Ledermänteln und schwarzen glänzenden Stiefeln mit den zwei Blitzen auf dem Revers (die gefürchtete SS) denen keine Tat zu grausam war, die Gestapo, welche vor nichts Halt machten - die Schergen des Satans persönlich. Sie holten den Mann zu einer Befragung ab, abends so spät? Er verschwand in einem schwarzen Automobil, wie so viele, einfach mitten in der Nacht – man sah ihn nie mehr wieder und hörte auch nichts mehr von ihm. Man hielt förmlich den Atem an, die Lauscher und Späher waren überall, jeder Hauswart wurde angewiesen, über alles, was im Hause vor sich ging, Bericht zu erstatten. Bestimmte Radiosender durfte man in dem kleinen Volksempfänger nicht einschalten und anhören. Wehe, man wurde erwischt beim Hören feindlicher Sender, dann war man ein Verräter. Wer Juden half, war ebenfalls ein Verräter.

Und weiter gehen die Gedanken der jungen Frau zurück. Ihre Arbeit in der kleinen Setzerei einer Druckerei in der City war hart und sie arbeitete mit hart gesottenen Männern, kein schöner Job. Die kleine Marilu war tagsüber bei der Oma und abends aß sie mit ihr eine Kleinigkeit und sie gingen dann gemeinsam nach Hause. Ein Tag voll Ahnung und Ungewissheit löste den nächsten ab. Dann sah sie sich bei der Trauung, ihr Mann in Uniform, ernste Gesichter. Die Wohnung der Schwester war damals ihr Hochzeitsasyl, wo sie eine Nacht ungestört waren. Dann mussten die Soldaten an die Front.

Im alltäglichen Kampf um das eigene Habe verging schnell die Zeit, die Hetzparolen im Radio wurden lauter, die Zeiten eisiger. Dieser Mann der neue Staatsmann mit dem stechenden Blick und seinem kleinen Oberlippenbart und seiner harten, schnarrenden Stimme, machte den Leuten Angst, viele vergötterten ihn, wollten einfach, dass er ein Idol sei, der die armen Zeiten mit Arbeitslosigkeit, Hunger und Armut bekämpfte, die noch vom ersten Weltkrieg über den Ländern lag. Ja, so fing es an. Anfangs schien es auch so, als würden die Zeiten besser werden. Es gab Arbeit, die Leute wurden aufgefordert, in die Partei einzutreten, die Kinder in Jugendgruppen untergebracht. Die Familie wurde hoch gelobt, vor allem die deutsche Frau. Eine Parade mit einer Rede für das Volk jedoch, fand immer unter dem gleichen Schema statt, mit tausenden Fackeln in den Händen der Zivilbevölkerung und den Soldaten. Es war immer ein Meer des Feuers, wo tausende Leute standen, dicht an dicht, und Sieg Heil brüllten, brüllen mussten! Das war schon sehr unheimlich. Die Parteigenossen, die einen unbedingt in die Parteien zwingen wollten, wurden immer brutaler. Sie widerstand ihnen geschickt, von ihrem jungen Ehemann darin bestärkt. Immer wenn sie mit dem *Heil Hitler Gruß konfrontiert wurde, machte sie einfach kehrt, arbeitete was anderes, putzte sich die Nase, es gab immer einen Grund für sie, den blöden Gruß mit der Hand in die Höhe, zu umgehen Wenn sie jedoch nur Guten Tag sagte, fragte man sie böse, ob sie nicht den deutschen Gruß kenne, dann war schon Gefahr im Verzug. Verärgert sah man es und hielt ihr immer wieder das Parteibuch unter die Nase, wann sie denn wohl einträte.

Nicht lange danach, liefen die ersten Juden mit den gelben Stoffsternen auf den Mänteln herum. Man traute sich kaum noch, auf der Strasse oder im Hausflur irgendwas zu sagen. Bestimmte Spitzel standen harmlos überall herum, und wenn jemand gegen das Regime schimpfte, drehte derjenige auf einmal einer seinen Kragen auf links und das Parteiabzeichen kam zum Vorschein. Der Bürger, der etwas Negatives gesagt hatte gegen Hitler oder die Nazis, durfte sofort mitkommen.

Sie erinnert sich, wie sie stundenlang beim Bäcker anstand für die Brotration, die es auf Lebensmittelmarken gab. Eine zierliche Jüdin, eine ältere Frau, die kaum gehen konnte, stand hinter ihr an und wurde immer wieder nach hinten gedrängt, irgendwann sagte Margret leise zu ihr "gehen Sie vor mich, Sie stehen doch schon zwei Stunden an" … sie aber verneinte ängstlich und blieb hinten stehen. Ein Mann mit schwarzem Hut und hochgeschlagenem Kragen sah es und sortierte sie wieder ganz hinten an, er hob den Kragen und sah drohend zu Margret hin das Parteiabzeichen zeigend, seine Augen hatten einen glasigen durchdringenden Blick, sie sah es heute in Gedanken noch vor sich. Etwas später, als sie sich vorsichtig umsah, war die kleine Frau wie vom Erdboden verschluckt, sie hatte ihre Ration noch nicht erhalten.

Das war ein schlechtes Zeichen, der Angst in die Herzen jagte, die Unsicherheit unter den Menschen wurde immer größer. Hoffnung auf besseres Leben war schon ausgeträumt, wie der Zerfall einer Konserve. Wer Feind oder Freund war, das wusste man nicht mehr, wem konnte man etwas anvertrauen. Selbst in den Luftschutzkellern und Bunkern, die man aufsuchte, wenn Fliegeralarm war und die Bomben fielen, sagte man am besten nichts und wartete nur darauf, dass man den miefigen Keller wieder verlassen konnte in der Hoffnung, dass oben noch alles stand.

Sie erinnerte sich an die kleinen wertvollen Momente, wenn Feldpost kam und sie endlich etwas gewahr wurde von ihrem Mann, was meistens immer erst nach Monaten geschah. Sie sah noch vor sich, wie ihre Schwester das gute Porzellan heraus nahm und den manchmal teuer erworbenen Bohnenkaffee - woher auch immer - aus der Dose nahm und echten Kaffee malte, natürlich ganz dünn. Das Aroma und der Duft aber war in diesen mageren Zeiten herrlich für den Gaumen und die Nase, da man immer nur Kaffeeersatz trank, der aus Weizen gebrannt und nach nichts schmeckte, den so genannten *Muckefuck, der einfach nur eine dunkle heiße Brühe war. Sie dachte daran, wie man hier und da bei der Lebensmittelration eine Zigarette bekam, die man dann eifrig für die Männer an der Front sammelte und kleine Päckchen machte, welche dann mit der Herzenspost ins Feld der Wehrmacht gingen. Sie sieht sich im Bett liegen, immer den leichten Trainingsanzug neben dem Bett, den Koffer, der mit in den Keller musste mit dem Notwendigsten und den Papieren, da die Wohnungen ja bei Fliegeralarm nicht zu gesperrt sein durften, ebenso nicht die Fenster.

Seit einiger Zeit hatten die Angriffe auf die Stadt zugenommen und sie wohnte bei ihrer 10 Jahre älteren Schwester in demselben Mietshaus. Diese war nervlich total überfordert, da sie vor nicht langer Zeit all ihre Habe verloren hatte. Ihr Schwager war in Gefangenschaft geraten, bei den Amerikanern. Er wurde dort der Küche zugeteilt und ihm ging es dort relativ gut. Ab und an bekamen die beiden Frauen Post von ihm und diverse Kleinigkeiten, Süßes oder Zigaretten. Man vertrieb sich die Zeit zu zweit so gut es ging und baute sich immer gegenseitig wieder auf. Eines Tages aber passierte das Schreckliche. Ihre Schwester hatte eine Wohnung stadtauswärts in Aussicht. Ihr gesamtes antikes Mobiliar, Bilder, Geschirr, Wäsche, Papiere und alle, was ein Haushalt her gab, war bereits auf dem Derendorfer Güterbahnhof in dem Güterwagen verstaut, als ein Luftangriff kam. Es traf diesmal den gesamten Güterbahnhof und ihr Eigentum verbrannte in den Flammen. Die Schwester bekam einen psychischen Zusammenbruch, von dem sie sich nur schwer erholte. Sie - die lebenslustige, couragierte Frau, war ein Nervenbündel geworden. Jeder Alarm löste die reinste Panik in ihr aus. Margret, die nun bei ihrer Schwester wohnte, hatte von da an ernste Probleme, diese bei Alarm in den Keller zu bekommen.

Eines Tages war es soweit, sie erzählten sich etwas bis Mitternacht und lagen dann erschöpft in den Betten, vielleicht würde einmal kein Fliegeralarm sein und man könnte einmal ruhig durchschlafen. Da gingen die Sirenen. Kurze Zeit später hörten sie das laute Dröhnen und Brummen einer ganzen Fliegerstaffel über Düsseldorf, die gen Osten flogen, schon hörten sie das Einschlagen der Granaten von ferne und das sirrende Geräusch von den Splittern. Manchmal warfen sie auch Phosphorbomben ab, da musste man höllisch aufpassen, wenn man dadurch lief und etwas an die Schuhe kam, musste man diese sofort wegstoßen vom Fuß, da das brennende Phosphor klebte und weiter brannte an Füssen Kleidung usw. denn es fraß sich immer weiter. Margret zog bei dem Alarm an der Schwester "komm runter in den Keller, schnell, sonst sperren die zu." "Nein" schrie diese hysterisch, "ich geh nicht in den Keller, ich geh nie wieder in den Keller, ich will nicht". Sie drehte völlig durch, "gut" sagte Margret zu der Schwester, "dann bleiben wir eben beide hier oben".

Niemand war mehr da, die Nachbarn hatten alle den Keller aufgesucht. Sie standen ängstlich in der Ecke an den Fenstern und schauten in der Verdunklung den Nachthimmel an, wo das Geschwader wie Bienenschwärme auf sie zu flog. Die Schwester hatte ihren Foxterrier, der ängstlich winselte, unter den Arm geklemmt und krallte sich mit der anderen Hand am Arm der jüngeren Schwester fest. Dann geschah es, die weißen Lichtkegel der Flak, (Fliegerabwehr) die überall auf den Dächern der Kaufhäuser in der Nähe des Rheines standen, leuchteten kreuz und quer den Himmel ab. Dann hatten sie plötzlich einen Bomber in dem Lichtkegel. Er war verloren, schon knattern die Schüsse der Flak, Leuchtgeschosse, die wie glitzernde Kugeln nach oben rasten. Die beiden Frauen standen ohne Luft zu holen, an einander gepresst wie erstarrt da. Sie sahen, wie im Lichtkegel der Flieger seitlich weg kippte, etwas explodierte und der Bomber Feuer fing.

Dann sauste er mit diesem pfeifenden und heulenden Geräusch, das immer lauter wurde, wie ein Stein nach unten und ließ im Sinkflug noch seine ganze Bombenladung unter sich fallen. Die Frauen starren wie hypnotisiert in den Lichtkegel am Himmel, der genau über ihnen ist. Der Flieger saust tiefer und tiefer, wird immer größer und wirft immer noch Bomben ab. Die Wucht des Luftdruckes bei der Detonation während des Aufpralls lässt die Wände sich wie Gummi nach außen biegen und wieder nach innen ziehen. Die Scheiben zerspringen. Die beiden Frauen krallen sich aneinander fest und schließen die Augen. Nun wären sie doch lieber unten im Keller bei den anderen gewesen, aber es war zu spät. "Oh Gott" schrie Margret, der kommt hier über uns runter, über uns! jedenfalls. Dann die Detonation mit einem ohrenbetäubenden Knall, einem weiteren, vielen Explosionen und sie flogen durch das Zimmer. Die Sekunden waren so lang, wie nie zuvor in ihrem Leben. Überall splitterten die Fensterscheiben, die Schindeln lösten sich durch die Wucht: Von vielen Dächern flogen sie umher, es krachte und schepperte, als wolle es niemals enden. Als es endlich ruhig wurde, fanden sich die beiden zwischen Möbeln in irgendeiner Ecke des dunklen Zimmers wieder. Der kleine Hund aber war verschwunden. Ihre Schwester Thea weinte und schrie immer wieder nach ihm, vergeblich. Er blieb verschollen.

Dann die Entwarnung der Sirenen, es war fürs erste wieder einmal vorbei, sie lebten noch. Unmittelbar danach hörte man von überall her die Feuerwehrsirenen. Die Menschen hasteten aus den Kellern und kamen auf die Strasse, wo war der Flieger runter gekommen und dann noch mit Bomben, es musste am Oberbilker Markt geschehen sein, also nicht weit von hier. Das Heulen der Sirenen endete nicht. Und dann, wie immer das gleiche Ritual, man rannte in die Gegenden, wo man Verwandte hatte, zu sehen, ob sie alle noch leben. "Der Flieger ist tatsächlich in Oberbilk runtergekommen – da steht nichts mehr", riefen sich die Passanten zu. Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Die ganze Gegend war abgesperrt, niemand kam mehr durch. Dann trafen die beiden Schwestern im Laufschritt über Schutt und Geröll in Flingern am Hermannplatz bei den Verwandten und der Großmutter ein. Hier war alles OK. Der Flieger war trotz des Abwurfes seiner Munition noch mit restlichen Bomben an Bord abgestürzt, und zwar auf dem Oberbilker Markt, so wie es alle sagten. Er hatte alles unter sich mit den detonierenden Bomben alles begraben. Die Explosion und das anschließende Feuerinferno ließ die ganze Klinik, Wohnhäuser sowie die halbe Kirche mit dem Kirchturm, alles in die Luft gehen und brennen. Immer noch hörte man das Detonieren einzelner Bomben. Tote und schreiende Menschen wurden aus den Trümmern und dem Feuer geholt. Man wusste gar nicht so schnell wohin mit so vielen verletzten und toten Menschen, teils noch in ihren Krankenbetten und Schlafanzügen.

Irgendwann im Morgengrauen gingen die beiden Frauen erschöpft zurück nach Hause, morgen mussten sie wieder arbeiten. Man war ehe so sensible geworden, bei jedem Laut zuckte man auf und stand sofort neben dem Bett. Aber eins schworen die Geschwister sich, nie wieder bei Fliegeralarm in der Wohnung zu bleiben. Der kleine Hund aber blieb zum Leidwesen seines Frauchens verschwunden. Er war so ein liebes Tier gewesen, ein heiterer kleiner Kerl, der morgens die Zeitung holte, die Pantoffeln brachte und einen oft zu einem Lächeln zwang. Vielleicht war es aber auch gnädiger, ihn nicht zwischen den Trümmern zu finden und lieber zu glauben, er lebt vielleicht noch – irgendwo …

Dies alles schwirrte der jungen Frau durch den Kopf – ein Endlosband, da sich immer wieder im Kopf abspielte, nur unterbrochen durch den Kampf ums Überleben im Jetzt. Ein Stolpern über einen dicken Ast löste Margret wieder aus ihren Gedanken. Sie war zu Hause angekommen, an dem Marktplatz mit dem dicken Baum in der Mitte, um den Holbänke standen. Zurück ins vorübergehende Heim in dem städtischen Gebäude, in das sie verwiesen wurde mit anderen. Zwei riesige Zimmer wurden mit Wolldecken abgetrennt und man machte es sich so gemütlich, wie es eben ging, gebadet wurde in einer Waschküche. Ihre Nachbarin war eine Frau von …, die sehr liebenswürdig war und der jungen Frau aus der Stadt sehr zugetan. Unten in Parterre wohnte ein Frau Oberst mit ihrem Kind. Mit dieser war nicht gut Kirschenessen und sie und die kleine Tochter beherrschten einfach den ganzen Garten für sich.

Margret oben angekommen, packe ihr gefundenes Gut sorgsam aus und machte das kleine Frühstück für sich und die kleine Marie Luise, die sie alle Marilu nannten. Das Jetzt des Alltags sorgte dafür, dass die Gedanken wieder verscheucht wurden. Doch schon bald kommt Das Geschehene aus ihrer Stadt Düsseldorf wieder zurück, während sie den Haushalt macht und das Essen richtet.

Es gingen so nach dem schlimmen Ereignis des Fliegerabsturzes mitten in der Stadt einige Wochen vorbei. Die Schwester, die sich wieder etwas beruhigt hatte, hatte einen Aushilfsjob in einer Schnapsbrennerei auf der Humboldtstraße, in der Nähe der Grafenberger Allee und von der Druckerei *Bagel. Die Allee war eine breite Prachtstraße, die vom Grafenberger Wald bis zur Innenstadt führte, mit Industrieanbindung rechts und links, was besonders auserwählte Ziele waren, die Tag für Tag, metergenau bombardiert wurden.

Der Job war gut, aber auch hart, es war anstrengende Fließbandarbeit, Flaschen säubern, leeren, füllen. Viele der Frauen tranken heimlich hier und da, so hatten sie sogar in all den Wirrnissen oft auch heimliche Witzchen zum Lachen parat. Ab und an, brachte die Schwester einige Probeflaschen mit, die die beiden für ihre Männer an der Front aufhoben. So ein Schluck aus der Flasche war manchmal auch gegen den Schock nach den Fliegerangriffen ein heilsames Mittel. Ebenso auch oft ein Stärkungsmittel, für Leute, die im Keller völlig durchdrehten, denn viele sind ja in ihren Kellern verschüttet worden und daran dachte man stets, ob man den Keller wieder verlassen würde.

Der Abend kam und um 21.00 Uhr im Sommer sowie um 19.00 Uhr im Winter war Verdunklung angesagt, diese wurde strengstens bewacht. Die Gaslaternen gingen aus und in den ehe schon düsteren Strassen sah man die Hand vor Augen nicht. Die Fenster wurden mit schwarzen Rollos verdunkelt, damit der Feind nicht allzu schnell etwas ausmachen konnte aus der Luft. Selbst die Fahrräder hatten vor der Lampe ein schwarzes Visier, das nur einen schmalen Schlitz breit etwas Licht frei ließ. Ebenso die Straßenbahnen. Ab einer bestimmten Zeit, fuhr ohnehin nichts mehr, dann musste man zu Fuß nach Hause gehen, bzw. im Dunkeln tappen. Der Fußgänger stolperte im totalen Dunkel durch die Stadt, man ahnte nur, wo man war, sehen konnte man es nicht. Wenigstens im Winter bei Schnee sah man etwas mehr, denn die Konturen - wo jemand ging - konnte man auf dem weißen Untergrund des Schnees wenigstens etwas sehen.

Es war an einem Sommerabend, die beiden Schwestern saßen vor dem alten Volksempfänger und hörten sich gerade im Radio eine Arie an aus *Aida - gesungen von Enrico Caruso an und hatten sich aus dem Branntwein, den sie durch den Job hatten, einen Eierlikör gemacht, natürlich mit Milch verdünnt. Dann kam wieder die Musik von Grieg, die jedes Mal kam, wenn Kriegsberichte durch gesagt wurden. Immer, wenn diese Hetzparolen und Propagandasprüche von den Parteigenossen im Radio kamen, gegen die restlichen Länder von Europa, konnte man den Koffer nehmen und in den Keller gehen, die Antwort des Feindes kam umgehend in Form von dem durch die Sirenen angekündigten Fliegeralarm. Vorbei war das Bisschen Ruhe, was sie sich so selten erwerben konnten. "Komm, wir gehen in den Keller", sprach' s und sie nahmen jeder ihr Handgepäck und gingen runter. Diesmal aber mussten sie in den Keller gegenüber in dem Haus. Der untere war schon gesperrt.

Natürlich knallte es umgehend. Der Feind wartete nur darauf, diese verdammten Deutschen endlich in die Knie zu zwingen. Der Wahnsinn war noch lange nicht vorbei. So gingen die beiden Schwester, ohne zögern - noch ehe die Sirenen anschlugen - bereits runter zu der dichten Türe zu dem unterirdischen Bunker. Es krachte unmittelbar darauf. Der Luftsog ließ sie die Tür nicht mehr öffnen. Sie kauerten in der Ecke des Kellers in dem Vorflur. Dann hörten sie ganz nahe die Detonationen. "Das ist direkt bei uns, auf der Grafenberger Allee" meinte Margret zu ihrer Schwester. Als der Alarm vorbei war, rannten sie bis zur nächsten Ecke. Alles brannte lichterloh, es hatte die Bürohäuser, Druckerei, die Schnapsbrennerei und andere Firmen erwischt. Das Feuer wurde immer mehr angefacht durch die ständig erneut explodierenden Alkoholflaschen des gesamten Schnapslagers.

"Wir müssen vorbei in Richtung Grafenberg zu den anderen", riefen sie sich zu. "Schnell ehe hier gar nichts mehr geht". Sie nahmen sich jeder eine Decke, zogen sie durchs Wasser und hingen sich diese über den Kopf und den Körper und rannten auf der anderen Seite an den brennenden Häusern vorbei. Die Hitze und das sprühende Feuer merkten sie an den Beinen und den Sohlen unter den Schuhen. Ob das immer so klug war, jedes mal los zu laufen, daran dachte niemand. Es war automatisch so, dass man nach dem Angriff schaute, wer noch unversehrt war, oft waren ja auch Häuser zu Trümmern geworden und man konnte noch helfen. Über die eigene Gefahr nachzudenken, dazu hatte man keine Zeit und keinen Platz im Kopf. Es war nicht Heldenmut, sondern einfach Instinkt, was da Tag für Tag und Woche für Woche automatisch in ihnen ablief.

Sie riss sich aus den Gedanken. Marilu würde gleich aus der Schule kommen. Heute gab es nichts einzukaufen, morgen erst wieder. Man musste die Rationsmarken gut einteilen, sonst würde man verhungern. Doch aus ihren Schätzen hatte sie eine köstliche Gemüsesuppe gezaubert und einen Greispudding mit Rosinen gab es auch zum Nachtisch. Während sie den Tisch deckte und aus dem Fenster schaute, ob die Tochter schon von weitem zu sehen war, wandern ihre Gedanken wieder zu ihrer Heimatstadt zurück.

In den letzten Tagen und Wochen gab es immer öfter Fliegeralarm, die Menschen kamen kaum noch zur Ruhe. Strich für Strich wurden Städte mit viel Industrie bombardiert und so auch Düsseldorf. Und während der verwüstete Oberbilker Markt, der nicht wieder zu erkennen war, noch als Tagesgespräch in aller Munde war, traf es diesmal das Zoogebiet, ein edles Stadtviertel, in dem ein wunderschöner großer Zoo war mit einem schönen Park drum herum, alles brannte aus. Die Tiere liefen brennend durch das Viertel und verendeten jämmerlich. Nichts blieb übrig als Schutt und Asche. Ein Bild des Grauens. Ein riesiger Krater verblieb da, wo sonst der Zoopark gewesen war und sonst nichts mehr.

In der letzten Zeit wurde die Evakuierung der Frauen und Kinder in den Großstädten angeordnet, sie mussten weg aus der Stadt, die langsam zu einem riesigen Trümmerhaufen wurde, in ruhige Gegenden, die noch von den Bomben verschont blieben. Ihre Schwester Thea, fast wieder die alte, wollte sich mit der anderen Schwester (sie waren sieben Geschwister) der Anne, aufmachen in die Tschechoslowakei, wo sie von Freunden erwartet wurden. Sie hatten ihnen brieflich angeboten, sie einige Zeit beherbergen zu können. Sie wussten zu der Zeit noch nicht, dass man sie dort vertreiben würde.

Margret schickte unterdessen ihre Mutter mit der kleinen Marilu vor, sie wurden den Thüringischen Gebieten zugeteilt, auf dem Lande, wo noch kein Krieg stattfand zu der Zeit. Andere wiederum wurden in die Eifel verfrachtet. Und so verstreuten sich die Familien rundum und verloren sich fürs erste teilweise aus den Augen. Margret erledigte noch wichtige Dinge mit Ämtern, abmelden, ummelden usw. und danach den Umzug per Eisenbahn für die Möbel und ihr gesamtes Habe. Hier wirkten auch Zigaretten und Schnaps wie immer Wunder. Das Schiebergeschäft blühte. Und nur, wer viel Geld, Schmuck oder Außergewöhnliches anzubieten hatte, bekam etwas, die anderen fanden nirgends Hilfe. Ihr Bruder, der sehr krank war und seine Familie sowie ihre Mutter mit der kleinen Tochter, waren inzwischen bereits mit dem Zug auf dem Weg in Richtung Thüringer Wald.

Von ihrem Mann Willy hatte die junge Frau schon lange nichts mehr gehört. Es war eine Geduldsprobe, einfach zu glauben, es sei alles gut, man wusste, dass Feldpost immer erst Monate später ankam, aber nun hatte sie fast schon ein Jahr nichts mehr gehört, was denken, nur nichts falsches, solange keine Nachricht kam, musste man einfach glauben, dass der geliebte Mann noch lebt, irgendwo. Ob er zu Weihnachten schreiben würde, ja vielleicht Urlaub kriegen? Nein, dazu war er zu weit weg, Erst Polen, dann Russland, das würde nichts werden mit einer Nachricht. Traurig dachte sie daran, dass der Winter bald käme und dann noch härtere Zeiten anbrechen würden. Aber warum sollte es ihr anders ergehen, als den meisten der Frontfrauen, und wer nicht verheiratet war, hatte einen Vater, Bruder, Onkel oder Neffen, der sich im Krieg befand. Das Leid konnte also jeden treffen.
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