Die Beerdigung

von Helmut Schida

Die Beerdigung

Rudi war einer meiner Kollegen, der mit mir fast zwei Jahre an einer Volksschule in Wien 9 verbracht hat. Ein paar Jahre älter als ich, hatte er damals schon den totalen Durchblick, was das Schulwesen betraf. Das heißt, er kümmerte sich nur mehr oberflächlich um den Job, der ihm kaum sein Überleben sicherte.


Alkohol- und Zigarettenkonsum waren um die paar Tausender, die die Lehrerei anfangs der Siebzigerjahre abwarf, wirklich nicht drin. Ein normaler Lehrerlohn ging mit Miete, Verpflegung, Auto und Alimente voll drauf. Es war zum Heulen.

Daher hatte auch jeder von uns mindestens einen Nebenjob. Die Einfallslosen gaben Nachhilfestunden am Nachmittag oder abends. Auch ich versuchte mich kurz darin, sah aber bald ein, dass man auch damit nicht reich werden konnte.

Rudi war schlauer. Er gab nie Nachhilfestunden, er verdiente sein Geld mit Beerdigungen. Nein, nicht auf’m Friedhof – eher im Hinterhof. Und das ging so:

Er fuhr nach Unterrichtsschluss mit seinem Uralt-Peugeot, den er immer bergab geparkt haben musste, weil die Mühle nur mehr rollend im zweiten Gang von selbst ansprang, in den dritten Bezirk in die Blattgasse. Dort hatte seine „Chefin“, eine uralte beklopfte Dame, eine winzige Buchbinderei mit zwei Angestellten und an die fünfzig Katzen. Sie stellten dort irgend ein faltbares Werbematerial und Zettel für Verteiler her. Eher selten mal eine Broschüre oder so Heftchen mit Geschirr und Besteck.

Auf jeden Fall lud er sich sein Auto mit dem Zeug voll und brachte es zu einigen Verteilerstellen in die angrenzenden Bezirke. Dafür bekam er regelmäßig Geld von der durchgeknallten Katzenoma.

Und bedingt durch die große Zahl an Viechern in der Firma, bekam auch andauernd irgend eine der vielen Katzen Junge und jede Woche verstarb auch mindestens eines von den Biestern. Da schlug dann immer Rudis große Stunde.

Die Alte rief ihn - oft auch in der Schule - an, setzte ihn von dem tragischen Todesfall in Kenntnis, und dann musste Rudi sofort zu ihr in die Firma kommen. Dafür hatte er in seinem Schulspind immer eine saubere Livree hängen, die er in Windeseile anzog. Darüber streifte er einen dünnen Mantel, damit ihn die Bullen nicht hopps nehmen konnten, was sie sicher getan hätten, wenn er ihnen so übern Weg gelaufen wäre, und raste übern Gürtel in den dritten Bezirk.

Im Kofferraum hatte er immer ein paar kleine Särge, grad so groß, dass eine Katze hinein-passte.

In der Firma angekommen begab er sich sogleich an den Ort des Geschehens. Er hatte seinen rotschwarzen Tschako auf dem Kopf, die weißen Zwirnhandschuhe an und den kleinen Sarg unterm linken Arm.

Die Maschinen waren längst abgeschaltet und die beiden Arbeiter nach Haus geschickt worden, sodass er gleich mit der Zeremonie beginnen konnte. Aus der Innentasche seiner schwarzen Samtjacke holte er eine Schallplatte mit Trauermusik hervor, legte sie schnell auf den Plattenteller in der Ecke und ließ die Orgel erklingen. Irgendein Requiem von Bach.
Dann schritt er langsam und im Takt der Musik zu dem Katzenkadaver. Die Alte - zwei Schritt hinter ihm und in tadelloser Trauerkleidung - verfolgte jede seiner Bewegungen.
Behutsam verfrachtete er die tote Katze in den mit farbiger Seide ausgeschlagenen kleinen Sarg, ließ ihn offen und stellte links und rechts daneben eine Kerze auf, die er mit seinem Feuerzeug ansteckte.

Dann richtete er sich auf und sprach, während Bach noch immer im Hintergrund orgelte:
"Herr im Himmel, Schöpfer der Menschen und überhaupt aller Lebewesen. Nimm Dich der Seele unserer soeben verschiedenen Minky an. Und wenn es Deinem göttlichen Ratschluss und Deiner grenzenlosen Güte entspricht, dann hole sie schnurstracks zu Dir hinauf und erspare ihr die unmenschlichen Qualen des Fegefeuers!"

In dieser Tour ging es noch eine Weile weiter, dann klappte er den Sarg zu und trug ihn gemessenen Schritts zur Hintertür raus in den kleinen Hof der Firma. Dort schaufelte er schnell eine Grube so groß wie eine Schuhschachtel, sprach noch ein paar rührende Abschiedsworte, kniete dann nieder und schüttete das Loch zu.

Danach führte er die gebrochene Alte in ihre Wohnung über der Buchbinderei, wusch sich, zog seine normalen Sachen wieder an und wurde - wie nach jeder ordentlichen Beerdigung - fein zum Essen eingeladen. So kam er in Lokale und zu Speisenfolgen, die er sich mit seinem Lehrergehalt nie hätte leisten können.

Und bei der Nachspeise schob sie ihm dann ein Kuvert zu, mit dessen Inhalt er zu zahlen hatte. Den Rest durfte er jedes Mal behalten. Und wenn alles stimmte, was mir Rudi so erzählte, dann war mir klar, warum er nie auch nur eine einzige Nachhilfestunde geben musste.

h. schida  -  www.schida.at/

Veröffentlicht am:
09:41:03 11.10.2011

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